Auf einem Tisch liegen unordentlich, Zettel, ein Gummihuhn, ein Textmarker, Stift, Handy, ein Schnapsglas, ein Bonbon

Was für eine Nacht

Gestern waren hier in Estland Wahlen. Wir durften natürlich nicht mitwählen. Aber trotzdem interessiert es uns schon, wer oder was gewählt wird. Schließlich müssen wir mit dem Ergebnis leben und uns an die Gesetze und Regeln halten.

Umso schlimmer war es gestern Abend, dass sehr lange eine ziemlich rechte Partei geführt hat; noch vor der Partei der bisherigen Präsidentin. Wir waren sehr zerknirscht, weil die zu der Zeit führende Partei skeptisch gegenüber der EU ist und keine Globalisierung mag. Außerdem sind sie gegen Migranten und das sind wir nun mal hier. Wir waren also sehr frustriert und haben überlegt, was wir dann tun. Wieder auswandern? Werden Gesetze und Regelungen, die es uns ermöglicht haben, uns hier sehr einfach nieder zu lassen wieder weggenommen oder zu unseren Ungunsten geändert?

Auch wenn uns sehr bewusst ist, dass wir privilegiert sind und dass sehr oft innerhalb der Gruppe der Migranten noch einmal unterschieden wird, Gesetze werden ja für die Allgemeinheit gemacht. In Österreich galten wir nicht als Ausländer. Zumindest wurde uns das so gesagt, wenn es wieder mal hieß: ‚Die Ausländer müssen weg.‘ Und wir dann meinten, wieso müssen wir jetzt weg? Dann kam: ‚Ach! Ihr doch nicht! Ihr seid doch keine Ausländer.‘ Na ja. Technisch schon. Ohne Österreichischen Pass ist man Ausländer. Ganz einfach. Und beim Fußball. Da waren wir dann tatsächlich die Scheiß Deitschn.

In Finnland wurde ich als Nazi beschimpft, was auch ziemlich neu für mich war. Als Deutsche gilt man eher als bessere Migrantin. Aber da war es anders und obwohl ich ja schon altersmäßig nicht am Krieg teilgenommen hatte, war ich trotzdem Schuld an allem, was den Menschen dort angetan worden war.

Solche Sachen sind gestern Abend hoch gekommen. Werden wir sicher sein? Könnten wir tätlich angegriffen werden? Werden wir angemacht und angefeindet? Müssen wir wieder umziehen? Welche Regelungen wird es geben? Was passiert mit uns und unserer Firma? Wir haben ständig die Seite mit den Ergebnissen aktualisiert und zur Beruhigung Schnaps getrunken. Irgendwann habe ich beschlossen, ich schaue mir am nächsten Morgen das Endergebnis an. Dennoch bin ich mit einem mulmigen Gefühl schlafen gegangen. Ich habe schlecht geschlafen, lag lange wach und war auch schon weit vor dem Wecker klingeln wieder wach.

Und dann die Erlösung. Die Rechten haben es nicht geschafft. Puh!!

Ich habe dann gelesen, dass die Stimmen der Online-Wähler erst am späten Abend hinzugezählt werden. Bisher war ich es aus anderen Ländern gewohnt, dass die ersten Hochrechnungen sich nicht mehr viel verändern. Aber hier ist das ganz anders. Etwa die Hälfte der Wähler haben online ihre Stimme abgegeben und als diese Zahlen veröffentlich wurden, haben sich die Anteile deutlich verändert. Hätten wir das mal vorher gewusst, dann hätte ich vielleicht besser geschlafen.

1 Kommentar zu „Was für eine Nacht“

  1. Dass es auch die Ach-Du-Bist-Kein-Ausländer treffen kann, zeigt der Brexit. Was die Personenfreizügigkeit in der EU für die Menschen bedeutet, die ihr Leben drauf aufgebaut haben, scheint die Politik von links bis rechts momentan nicht bewusst zu sein und nicht zu kümmern. 🙁

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