Barcamp Klagenfurt 2008

Barcamp-Kultur – einst und jetzt

Barcamp Klagenfurt 2008

Barcamps werden immer beliebter und auf der einen Seiten so hip, dass viele Firmen sie jetzt schon als Instrument für sich einsetzen und andererseits fragt die Barcamp-Community gerade, ob – zumindest in Deutschland – die Luft raus ist?

Mich beschäftigt schon seit längerem die Veränderung der Barcamp-Kultur. Weil ich sehr stark das Gefühl habe, dass sich da in den letzten Jahren einiges geändert hat.

Mein erstes Barcamp war 2007 in Klagenfurt. Zu der Zeit wusste wirklich kaum jemand, was ein Barcamp ist und was das soll. Wir auch nicht, aber es klang interessant und spannend und es hatte etwas mit diesem ‚Web‘ zu tun und wir wollten sowieso in diesem Jahr nach Österreich auswandern, also sind wir hingefahren. Von dem Barcamp haben wir getreu der alten Barcamp-Regel („You do blog about barcamps“) ausschließlich über Blogs erfahren. Selber habe ich natürlich auch darüber geblogged. Die Blogosphäre war seinerzeit eine sehr gut vernetzte Gemeinschaft. Man las sich gegenseitig, hat andere Blogs in seiner Blogroll aufgeführt und sehr viel verlinkt.

Zu diesem österreichischen Barcamp in Klagenfurt kamen die Leute von überall her angereist. Es kam auch eine Gruppe Blogger aus Wien. Sie reisten gemeinsam an und wohnten im gleichen Haus. Später wurde diese gemeinsame Anreise dann als ‚twitter-train‘ berühmt. Aber 2007 gab es diesen Dienst noch nicht.

An diesem Wochenende im Februar trafen sich dann all diese Blogger und Internetbegeisterten und haben sich gegenseitig ausgetauscht, ihr Wissen vermittelt, in den Pausen geplaudert, Ideen geschmiedet und Geschäftsmodelle entworfen. Und diese Erfahrung war sehr intensiv. Ich weiß noch genau, wie mir am Ende der zwei Tage der Kopf geraucht hat. Ich war voller neuer Eindrücke und Ideen und fand es super.

Was war damals noch anders?

Alle Barcamp-Besucher waren an beiden Tagen anwesend. Es wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, nur mal so auf einen Sprung vorbei zu schauen. Alle haben bereitwillig und gratis Ihr Wissen weiter gegeben. Weil es mein erstes Barcamp war, habe ich eine Session gehalten (Barcamp-Regel!!) und habe das gar nicht diskutiert. Das gehörte zu diesem Format dazu und das war so und das habe ich gemacht. Einzig das Thema war für mich ein Problem, konnte ich doch nicht programmieren oder sonst etwas kreierendes beitragen. Was ich konnte, war „Zeitmanagement“ und darüber habe ich dann auch eine Session gehalten, die sogar wider erwarten recht voll war. Vor mir saßen viele Leute, die in ihre Laptops schauten (2007!) und ich dachte mir hört gar keiner zu. Aber nach meiner Session gab es zig Anfragen auf openbc (kennt Ihr noch? heißt jetzt Xing), etliche verlinkte Blogposts und live-mitgeschriebenes. Wahnsinn. Ich fand das Format so toll, dass ich inzwischen auf fast 40 Barcamps war und drei selber organisiert habe.

Was ist heute?

Heute fehlt mir dieser Gemeinschaftsgedanke. Dieses Nehmen und (!) Geben! Man liest, dass die Regel, beim ersten Mal eine Session zu halten viele abschreckt. Es gibt sehr sehr viele Barcamp-Touristen und leider immer mehr No-Shows. Und es gibt viele Mitteilungen à la: „Muss jetzt noch einkaufen, geh dann zu nem Freund und schau am Nachmittag mal am Barcamp vorbei“ oder „Die Sonne hat gesiegt! Bin am Strand! Wünsche allen Barcamp-Teilnehmern einen tollen Tag!“

Ich frage mich, woher dieser Umschwung kommt? Ein Barcamp lebt – mehr als alle anderen Konferenzkonzepte – von den Teilnehmern. Aber eben von den Teilnehmern, die vor Ort sind und die sich einbringen. Ein Barcamp lebt vom Wissensaustausch. Aber eben vom Tausch! Wenn ich tolle Sessions höre, dann habe ich die Chance etwas zurück zu geben. Durch eine eigene Session oder durch gezieltes Fragen oder eifriges mitdiskutieren.

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Barcamps zur Unterhaltung verkommen, wenn ich Ankündigungen lese, die als Argument für z. B. das Barcamp Graz anführen, dass es dort Makava und Catering vom Gingko gibt…

Meiner Meinung nach geht es bei Barcamps um die Gemeinschaft, die neudeutsche Community, den Zusammenhalt, das Verbindende, den Austausch, das gemeinsam erschaffende. Es geht nicht, um ‚kurz mal reinschauen‘ und lecker Essen und hippe Getränke. Leider sehr negativ gipfelte diese neue Kultur beim letzten Barcamp in Graz in die Belästigung einer Teilnehmerin. (Ich verlinke hier bewusst nicht!)

Verkläre ich hier die Vergangenheit? À la „früher war alles viel besser“? Ist eine neue Generation/Community nachgewachsen? Soll man irgendwie lenkend eingreifen? Wenn ja, wie? Oder ändern sich die Dinge eben und heute sind barcamps nun mal anders. Was meint Ihr?

Ich freue mich auf die Diskussion mit Euch.

19 Kommentare zu „Barcamp-Kultur – einst und jetzt“

  1. Christian Meisenbichler

    Ich verstehe die Entstehung der Barcamps als eine Geste des „Wir sind auch elitär, nicht nur die Friends of O’Reilly“ Auch wenn die Barcamps von den basisdemokratischen Bewegungungen der frühen 2000 aufgegriffen wurden. Das war die Zeit von: „Die ganze Welt sollte in Wikipedia auf einen Konsens kommen“. Freiheit kommt ganz oft vor, und die Erwartung an dieses Wort ist riesig. Auf einer bestimmten Ebene verstehe ich Barcamps als freien Markt der Ideen, ein Konzept aus dem Höhepunkt des Neoliberalismus. Selbst verständlich war ein Barcamp nie ein Markt und Schon gar nicht ein freier Markt, den gibt es ohnehin kaum wo. In diesem Sinne hab ich gar Nix dagegen wenn sich das Konzept weiterentwickelt, denn so idealistisch „rein“ kann es nie gewesen sein.

    Das Barcamp Graz scheint nicht mehr die Leute zu ihrer eigenen öffentlichen Stimme erziehen zu wollen, sondern stellt das Erleben eines lokalen öffentlichen Diskurses darüber. Mir soll es Recht sein, denn selbst letzteres erleben nicht viele regelmäßig und werden weiterhin davon bewegt werden. Falls das nicht mehr gelingt, wird man die eine oder andere Schraube drehen müssen. Vielleicht aber gereicht die Kleinheit von Graz zum Vorteilt und das Barcamp Graz muss sich nie ernsthaft Gedanken darüber machen.

    1. Danke Christian, letztendlich werden die Organisatoren und Sponsoren schauen müssen, wie sie – wenn überhaupt – eingreifen. Vielleicht haben die österreichischen Barcamps – wie Du sagst – durch ihre Kleinheit da einen Vorteil. Wir werden sehen…

  2. Pingback: Der Geist der Barcamps weht wo er will | Nur ein Blog

    1. Wow! Danke Robert! Und danke für die Erinnerung, dass jedes Barcamp neu ist und sich neu erfinden muss. Vielleicht bin ich nach so vielen Barcamps einfach ‚betriebsblind‘ geworden… Das Grazer Barcamp mit seiner Multicamp-Struktur ist ja eh schon eine weiter Entwicklung und funktioniert soweit sehr gut.

  3. Mich erinnert das an die Anfänge der Attac Sommerakademie, mensch dachte, ich muss von Anfang bis Ende immer dabei sein, denn es kommt ja auf mich an. Das war schrecklich anstrengend und am Ende hatte ich so einen Kopf, dass ich mich an gar nix mehr richtig erinnern konnte.
    Inzwischen habe ich gelernt: es liegt in meiner Verantwortung, zu entscheiden, wie viel Zeit ich in dieser Intensität aushalte, wann ich Ruhephasen brauche und was die Themen sind, die mir am Herzen liegen und wo ich mich auch aktiv einbringen will. Ich habe für mich festgestellt, dass es mir zu viel ist, einen ganzen Tag in intensive Diskussionen verwickelt zu sein und werde sicher auch diesmal beim Barcamp in Graz ein Pause machen (ob ich da einkaufen gehe, in den Park oder einfach ins nächste Café ist sekundär). Meine wichtigste Erkenntnis war: es kommt zwar auch auf mich an, aber ich bin nicht unersetzlich, die können das auch ohne mich ;).

    Ich glaube, es kommt auf die richtige Balance an. Sich als Teil einer Community zu fühlen, bedeutet für mich nicht ununterbrochene Anwesenheit, sondern auch auf meine Bedürfnisse zu achten, damit ich, wenn ich da bin, mich auch angemessen einbringen kann.

    1. Zwischendurch zieh ich mich auch schon mal zurück, lasse eine Session ausfallen, geh spazieren usw. Dass man auf sich persönlich achtet ist ganz wichtig! Das ist aber imho eine ganz andere Einstellung – zumal Du ja auch schreibst, dass Du Dich einbringen willst! Und das ist ja schon mal eine ganz andere Grundeinstellung, als wenn ich von zwei oder zweieinhalb Veranstaltungstagen (bei vielen Barcamps gibt es an einem Abend auch ein gemeinsames Beisammensein) nur für ein bis zwei Stunden überhaupt ‚vorbei schaue‘.

  4. Mein erstes Barcamp war 2008 in Graz (Das weiß ich deswegen noch so genau, weil ich von damals immer mein T-Shirt habe). Knapp dreißig Leute haben sich damals zusammengefunden. Im Vergleich dazu hat sich die Teilnehmerzahl beim Barcamp 2013 verfünffacht (schätze ich). Mehr Leute, mehr Organisation – aber auch eine unglaubliche Vielfalt, die es damals 2008 noch nicht gegeben hat. Voriges Jahr habe ich erstmals beobachtet, dass von sich aus so viele Leute eine Session halten wollten, dass fast die Slots nicht ausgereicht haben – das hat es bisher noch nie gegeben. Schon deswegen allein hat sich in meinen Augen das Barcamp auch positiv weiterentwickelt. nicht nur negativ.

    „No-Shows“ (Ich gestehe, ich musste erst mal nachschauen, was das bedeutet :D) gibt es leider überall bei allem, was sich irgendwie Veranstaltung nennt – das sehe ich eher als eine allgemeine Entwicklung in unserer Gesellschaft und nicht nur auf Barcamps alleine bezogen. In einer Zeit, in der jeder zig Veranstaltungseinladungen auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken bekommt, haben Zusagen definitiv ihre Verbindlichkeit verloren – man kann sie bestenfalls als Absichtserklärung sehen. Leider.

    1. Ja, das stimmt Henriette. Die Verbindlichkeit bei Einladungen ist – auch im privaten Bereich – empfindlich gesunken. Vielleicht wirklich ein gesellschaftliches Phänomen.

  5. Pingback: So much to do, so little time. Nehmen wir uns zu viel vor? | Denkarium

    1. Danke, dass Du Deine Sichtweise mal so deutlich darstellst. Das Problem mit den viel zu vielen Dingen, die man gerne machen möchte kenn ich nur zu gut. Allerdings lebe ich schon seit Jahren ohne Fernseher und Radio und vermisse nichts. Auf jeden Fall wünsche ich Dir viel Erfolg für Deine Fastenzeit!!! Wie ist es denn mit Wochenendworkshops zum Thema Tanz? Schaust Du da auch nur mal kurz vorbei? Oder machst etwas nebenbei (social media)? Oder lässt Du Dich da voll drauf ein? Oder bist Du immer ein Multitasker? In allen Bereichen? Wobei ein Barcamp ja auch durchaus was für Multitasker ist: Zuhören, nebenbei den hashtag verfolgen, live twittern und mitdiskutieren…

  6. Nicht „Luft ist draußen“, sondern das was vormals intuitiv im Fokus war „Geben – Nehmen – Synergie – Impression“ ist leider „deutlich nicht-prior“ geworden; dafür wird es dato möglicherweise besser administriert …
    Auch scheuen viele TN’s mittlerweile den erfrischenden/herzhaften (aber alleweil fairen!) Diskurs und sondieren ersatzweise dauernd rundum zwecks „pc“
    Der mich alleweil zur TN bewegende „Aha-Effekt“, d.h. dass aus der Gemengelage heraus in irgendeiner Form ein „es war gut dabeizusein“ weil „ich konnte etwas mitgegeben … etwas mitnehmen“ verbleibt, hat sich erheblich abgeschwächt
    Mal sehen, ob’s Office/Management sich berufen fühlt „das“ zumindest in Evidenz zu nehmen … mit/ohne Tracking-ID 😉

  7. Liebe Monika, ein sehr schöner Artikel, dem ich voll beipflichten kann. Zwar bin ich fast ausschliesslich bei den beiden touristischen Barcamps, dem Tourismuscamp und dem Castlecamp, bei dem ihr zwei ja auch fast immer seid. Doch auch da spielt sich das von Dir kritisierte zur Genüge ab. Nunja, wenn es jetzt schon so weit ist, dass es geschlossene Anmeldelisten gibt und man diese getrost ignorieren kann, weil eh diverse No Shows dabei sind… – dann ist das zwar auch nicht fein, aber immerhin unterstützt es den Veranstalter, da er sieht, dass genügend andere dieses Barcamp ernst nehmen, dabei sein wollen und auch am zweiten Tag trotz Suff in der Nacht davor wieder anwesend sind. Anyway, es ist immer schön, sich mit Euch auszutauschen. Alles Liebe, Götz

  8. Pingback: Die Zukunft der Barcamps (Barcamp Graz 2014) | Nur ein Blog

  9. Wenn irgendwann mal mehr übers Format als über die Sessions diskutiert wird, dann haben sich öffentliche BCs überlebt 🙂 Ich halt das ganze aber schon hauptsächlich für eine Skalierungssache… wo 2 oder 3 gemeinsam eine Agenda erarbeiten und dann Sessions halten, da ist ein Barcamp.

    PS: Wenn ich gewusst hätte, dass es Graz Makava gibt…

  10. Pingback: MSP011 Tag 2 vom Barcamp Graz 2014 | mur.strom

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